Teures Lehrgeld – meine Investment-Historie in sechs Phasen

Warum ich diesen Beitrag schreibe

In der Rückschau wirkt vieles logisch:
„Na klar, hättest du einfach buy & hold gemacht.“
„Hättest du mal nicht verkauft.“
„Hättest du mal mehr Geduld gehabt.“

Aber so funktioniert das Leben nicht, und das Investieren leider auch nicht.
Wir entwickeln uns. Wir testen, scheitern, lernen, probieren neu.
Und ich will ehrlich sein: Meine Investmentgeschichte war alles andere als linear. Oder rational.

Deshalb schreibe ich diesen Beitrag. Nicht, um Empfehlungen zu geben. Nicht, um mein Depot zu feiern.
Sondern, um transparent zu zeigen, wie mein Weg bisher aussah – inklusive falscher Abzweigungen, Fehltritte und Momente der Überheblichkeit.

Vielleicht erkennst du dich in einem Abschnitt wieder. Vielleicht sparst du dir einen Umweg. Vielleicht auch nicht, aber dann hast du wenigstens was zu schmunzeln.

Phase 1 – Krypto & kein Kapital

Studium, Neugier – aber ein leeres Konto

Meine erste Berührung mit der Finanzwelt hatte nichts mit ETFs oder Aktien zu tun, sondern mit Bitcoin (das hier war der Start. Die BTC Whitepaper.pdf). Studentenwohnheim, 2013/2014. Ein Freund (Shoutout an Benni) erzählt mir von Bitcoin. Ich verstehe kaum etwas, aber ich bin fasziniert. Ich lese mich ein, bastle mir ein kleines Mining-Setup aus meinem Gaming-PC (mehr aus Neugier als mit Gewinnabsicht) und klicke mich durch Foren, Faucets, Wallets und Whitepapers.

Aber investieren? Fehlanzeige. Mein Konto ist chronisch leer. Was reinkommt, geht in Miete, Semesterbeitrag oder Mensa. Eine verpasst Möglichkeit wie damals zum Dotcom-Crash: Warum habe ich 2002 statt die günstigen Aktien einzusammeln nur in der Grundschule gesessen.

Trotzdem: Ich habe Zeit. Und Interesse. Ich lese Blogs, Bücher, Reddit-Threads. Ich will verstehen, wie Märkte funktionieren, warum Menschen sparen, wie Geldanlage langfristig gedacht wird. Eigentlich alle Basics, die ich hier im Blog kaum thematisieren werde. (Wobei, vielleicht doch ein paar wenige.)

📌 Learning: Rückblickend war das eine der wertvollsten Phasen. Ich konnte nichts falsch machen, weil ich nichts zum Investieren hatte. Aber ich konnte viel lernen. Und genau das habe ich getan.

Phase 2 – Die 100 €-Mentalität

Der erste Job, das erste echte Depot, die erste Ungeduld

Nach dem Studium kommt der erste Job. Bezahlung nach TV-L 13, 50 %-Stelle – etwa 1.300 € netto. Nicht viel, es hat gerade so gereicht um den Alltag mit Studenten-Lifestyle noch halbwegs komfortabel zu bestreiten, aber genug, um 100 € im Monat zur Seite zu legen. Und das fühlt sich verdammt gut an. Ich eröffne mein erstes Depot bei der comdirect. All-World-ETF, dazu ein bisschen Altcoins (weil ich’s ja kenne). 100 % Aktien, logisch, oder? Alle Finfluencer sagen’s. Die Literatur sagt’s. Das Renditedreieck des MSCI World sowieso. Ich bin stolz, aber auch frustriert. 100 € im Monat? Das fühlt sich an wie Gießen mit einer Pipette. Ich will mehr. Ich denke: „Ich mache alles richtig, aber es passiert zu wenig.“

Und genau das wird später zum Problem.

📌 Learning: Jeder Investor beginnt mit dem ersten Euro. Aber Ungeduld ist der größte Feind am Anfang.

Phase 3 – Der Corona-Crash & mein Selbstüberschätzungs-Moment

30 % Minus in wenigen Tagen, ein dummer Verkauf – und schlaflose Knock-Out-Nächte

Dann kommt 2020. Corona. Crash. Chaos.

Mein Depot fällt um über 30 % innerhalb weniger Tage. Ich denke: „Das fällt noch weiter. Ich sichere, was noch da ist.“ Klar, es war ja absehbar: Infektionen in China“, „Flughäfen geschlossen“, alles schon im Januar.. Ich verkaufe. Fast am Tiefpunkt im März. Und halte mich dabei für clever. Spoiler: war ich nicht.

Parallel taste ich mich an P2P-Kredite heran – kleine Summen, eher als Experiment. Und dann: Knock-Out-Zertifikate. Ich weiß nicht, wie ich da reingeraten bin, aber plötzlich habe ich Positionen, die sich über Nacht verdoppeln – oder halbieren. Und bei den Schwankungen während Corona… puh.

Es war aufregend. Auch lustig. Mit Freunden gemeinsam wetten, gegenseitig pushen, r/mauerstrassenwetten Gründungsmitglied – irgendwie verrückt. Einige Trades laufen gut. Ich mache dreistellige Prozentgewinne. Aber: Ich schlafe kaum. Ich checke Futures um 2 Uhr nachts, obwohl ich sie gar nicht handeln kann. Ich glaube, ich habe „The Big Short“ (große Empfehlung) in einer Woche viermal gesehen.

📌 Learning: Nur weil es aufregend ist, heißt das nicht, dass es klug ist. Der Markt belohnt Geduld, nicht Adrenalin.

Phase 4 – Hype, Momentum & „Ich baue mir meinen ETF“

Corona ebbt so langsam wieder ab. Ende 2020 ist es immer noch präsent, aber die Fridays for Future Bewegung, die 2018 und 2019 so richtig Fahrt aufnahm, ist immer noch relativ präsent. Die Welt spricht über Clean Energy und Nachhaltigkeit. Ich denke: „Ich bau mir meinen eigenen Wasserstoff-ETF.“ Ich google. Finde Plug Power, ein paar andere Namen. Kaufe. Aus ein paar Hundert Euro werden ein paar Tausend. Ich fühle mich genial. Also verkaufe ich – ziemlich nah am All-Time-High – und steige um in den MSCI World Momentum ETF. Quantitativ belegt. Regelbasiert. Wissenschaftlich fundiert.

Nur: Ich hänge dem MSCI World hinterher. Schon wieder.
(Okay, der Zeitraum zur Betrachtung der Performance waren nur 8 Monate und es sind nur ein paar Euro… aber trotzdem. Es nervt.)

Ich verliere die Geduld. Und damit auch den Faden.

📌 Learning: Strategien funktionieren nur, wenn man sie durchhält. Nicht, wenn man sie monatlich tauscht.

Phase 5 – Hedgefundie’s Excellent Adventure

Hebel, Logik – und emotionale Implosion

Ich stoße auf Reddit auf Hedgefundie’s Excellent Adventure im Bogleheads Forum. Eine Strategie mit 3x gehebelten Aktien- und Anleihe-ETFs (S&P 500 + langlaufende US-Staatsanleihen). Rebalancing, Leverage, Outperformance. Get rich quick. Outperformance des MSCI World um über 50% pro Jahr, Drawdown der ähnlich hoch zu sein scheint bei aber höherer Volatilität. Ist das vielleicht die Möglichkeit doch „reich“ zu werden?

Ich tauche tief ein: Backtests, Simulationen, Bootstrap Monte-Carlo, Modern Portfolio Theory, Risk Parity. Es klingt logisch.

Ich steige ein. Es läuft. Ein all-time high jagt das Nächste. Dann kommt die Zinswende. Anleihen brechen ein. Aktien stagnieren. Ich bin 55 % im Minus. Fünfstelliger Buchverlust. Ich deinstalliere die App. Ich schaue wochenlang nicht mehr ins Depot. Und trotzdem bleibe ich investiert. Irgendwie. 2024, bei Break-even, steige ich aus. Ohne Stolz. Aber mit Erkenntnis.

📌 Learning: Wenn du eine Strategie emotional nicht aushalten kannst, ist sie für dich die falsche – egal, wie gut sie auf dem Papier ist.

Phase 6 – Lifecycle, Hebel – und der Orangenmann

Nächster Versuch: Lifecyle Investing, Leverage for the Long Run. Ich setze auf eine SMA200-basierte Strategie mit US-Leverage-ETFs, wie in „Lifecycle Investing“ beschrieben. Da soll der maximale Drawdown im Vergleich zum Hedgefundie’s Abenteuer deutlich reduzierter sein, aber immer noch eine sehr große Outperformance im statischen Buy and Hold Ansatz vorhanden sein. Ich nutze den 200-Tage-Durchschnitt als Einstieg/Ausstiegssignal. Ich bin voll in US-Markt gehebelten Positionen. Und es läuft. Ich bin deutlich vor dem MSCI World. Ich fühle mich gut, diesmal wirklich.

Dann kommt Trump zurück.
2024 gewinnt er die Wahl. Die Märkte sind erst im Rausch, Gewinne steigen weiter. 2025 dann der „Liberation Day“. Das einzige was er befreit ist die Anleger von Kursgewinnen. Ich verkaufe, regelbasiert, korrekt.
Aber was bleibt, ist das Gefühl: Ein Portfolio, das zu 100 % vom US-Markt abhängt, fühlt sich unter einem potenziellen Autokraten, „Project 2025“ und Mar-a-Lago-Realpolitik… nicht mehr sicher an.

Ich bin raus. Und überlege: Was jetzt?

📌 Learning: Eine gute Strategie ist nicht nur Zahlen. Sie muss sich auch menschlich richtig anfühlen.

Phase 7 – Struktur, Klarheit & Ruhe

Heute habe ich eine Asset Allocation, die zu mir passt:
80 % Aktien, 5 % Krypto, 7,5 % P2P, 7,5 % Gold.
Ich habe ein Investment Policy Statement geschrieben, klare Regeln, feste Routinen.

Ich investiere nicht mehr für das Gefühl, sondern für die Struktur. Ich spekuliere nicht, ich plane. Ich hoffe nicht, ich beobachte. Ich versuche nicht, besser zu sein als der Markt, sondern besser als mein früheres Ich. Das klingt alles etwas kitschig, aber retrospektiv ist das die einzige Strategie, die für mich zu funktionieren scheint. So hoffe ich.

📘 Was ich heute anders mache

  • Ich habe ein festes Anlagekonzept mit klarer Asset Allocation
  • Ich rebalanciere regelmäßig – nicht impulsiv
  • Ich investiere nicht mehr, um „recht zu haben“ – sondern um ruhiger zu leben
  • Ich schreibe mit – in Form eines Investment Policy Statements
  • Ich handle weniger – und denke langfristiger

Fazit

Ich habe viel verloren: Geld (tatsächlich netto aber immer noch positiv darstehend), Klarheit, Nerven.
Aber ich habe mehr gewonnen: Ruhe, Fokus, einen Plan.

Und vielleicht ist das die wahre Rendite.

💬 Was war deine wildeste Investmentphase?
Was hast du daraus gelernt? Schreib’s mir gern in die Kommentare.

Ich freue mich auf Austausch – wie immer: ehrlich, persönlich, ohne Filter.

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